Zypern – Zahlen und Fakten
Große Teile der griechischen Zyprioten forderten seit dem 19. Jahrhundert den Anschluss (Enosis) an Griechenland. Diese anfangs gegen die türkische, später gegen die britische Herrschaft gerichteten Bestrebungen, die 1931 zu Unruhen führten, lebten nach dem 2. Weltkrieg verstärkt auf. An die Spitze der Bewegung trat das Oberhaupt der orthodoxen Kirche von Zypern, Erzbischof Makarios. Seit 1955 führte die Untergrundorganisation EOKA unter G. Grivas einen Guerillakampf gegen die britische Kolonialmacht, die mit harten Repressalien antwortete. Gleichzeitig kam es zum Konflikt zwischen den interessierten Mächten: Großbritannien wünschte den Fortbestand des Kolonialstatus, Griechenland den Anschluss, die Türkei eine Teilung der Insel. 1959 wurde der Konflikt durch das Londoner Abkommen zunächst beigelegt: Zypern erhielt die Unabhängigkeit, die von den drei Mächten garantiert wurde. Großbritannien wurden Militärstützpunkte zugestanden. Makarios wurde zum Staatspräsidenten gewählt. Am 16. 8. 1960 erfolgte die Unabhängigkeitserklärung.
Kennzeichnend für die Verfassung von 1960 blieb der institutionalisierte Dualismus von griechischer Mehrheit und türkischer Minderheit. Alle Staatsorgane wurden im Verhältnis 70: 30 besetzt. Das Parlament wurde nach allgemeinem, gleichem, geheimem und direktem Wahlrecht bestellt, jedoch wählten beide Nationalitäten ihre Abgeordneten in gesonderten Wahlkreisen. Auch der griechische Präsident und der türkische Vizepräsident (F. Küçük) wurden getrennt gewählt. Als Makarios 1963 dieses System zugunsten der griechischen Mehrheit beseitigen wollte (Aufhebung des Proporzes bei Wahlen und Stellenbesetzungen), kam es zu blutigen Kämpfen zwischen den Volksgruppen. Die UNO entsandte 1964 eine Sicherheitstruppe, deren Mandat jeweils halbjährlich verlängert wurde.
In der 2. Hälfte der 1960er Jahre beruhigte sich die Lage, doch kam eine Verständigung trotz jahrelanger Verhandlungen nicht zustande. Inzwischen entstand bei Teilen der griechischen Zyprioten Missstimmung gegen Makarios, der die Enosis-Bewegung nur noch formell zu unterstützen schien. Seit 1972 trat die von Grivas († 1974) geführte EOKA wieder mit Terroranschlägen, jetzt gegen Regierungsmitglieder und Regierungseinrichtungen gerichtet, in Erscheinung. Gegen Makarios wandte sich auch ein Teil des Klerus.
Am 15. 7. 1974 putschte die von griechischen Offizieren befehligte und von der Regierung Griechenlands gesteuerte Nationalgarde gegen Makarios. Makarios verließ vorübergehend das Land. Unter dem Eindruck eines drohenden Anschlusses der Insel an Griechenland landeten am 20. 7. türkische Truppen und besetzten den Nordosten der Insel, rund 40% der Gesamtfläche. Es kam zu großen Bevölkerungsverschiebungen (Flucht, Vertreibung, Umsiedlung), wodurch nahezu geschlossene Siedlungsgebiete der Volksgruppen entstanden. 1975 erklärte sich der türkische Teil zum „Föderativen türkisch-zypriotischen Staat“, dessen Präsident R. Denktas wurde (Bestätigung im Präsidentenamt bei den Wahlen 1985, 1990, 1995 und 2000). Verhandlungen zwischen den Volksgruppen blieben ergebnislos, da die Griechen auf einem Einheitsstaat mit begrenzt autonomen Kantonen bestanden, während die Türken eine lose Föderation zweier weitgehend selbständiger Staaten forderten. Nach Makarios‘ Tod (1977) folgte ihm S. Kyprianou als Präsident, der von der Türkei und den zypriotischen Türken nicht anerkannt wurde.
Der Norden der Insel erklärte sich 1983 einseitig zur unabhängigen „Türkischen Republik Nordzypern“. 1985 wurde durch Volksabstimmung eine Verfassung eingeführt. Die Türkei trat als Garantiemacht dem neuen Staat zur Seite, der aber international nicht anerkannt wurde. 1985 kam es durch UNO-Vermittlung zu Verhandlungen zwischen Kyprianou und Denktas, die ergebnislos blieben. Auch weitere UNO-Bemühungen um eine Lösung der Zypernfrage hatten keinen Erfolg. Im griechischen Teil Zyperns stieß die kompromisslose Haltung Kyprianous auf zunehmende Kritik. Bei der Präsidentschaftswahl 1988 erlitt er eine Niederlage. Neuer Präsident wurde der parteilose, von der linken Fortschrittspartei unterstützte Unternehmer G. Vassiliou. Die Präsidentschaftswahlen 1993 gewann G. Klerides (Demokratische Sammlung); er wurde 1998 im Amt bestätigt (bis 2003). Im gleichen Jahr nahm die EU Beitrittsverhandlungen mit Zypern auf, ohne dass die Teilungsproblematik der Insel lösbar erschien. Annäherungsgespräche unter Schirmherrschaft der Vereinten Nationen blieben ohne durchschlagenden Erfolg. 2003 konnte sich bei den Präsidentschaftswahlen im griechischen Inselteil der Oppositionskandidat T. Papadopoulos (Demokratische Partei) gegen den bisherigen Amtsinhaber Klerides durchsetzen. Eine neue Friedensinitiative der UNO, die die Schaffung eines Bundesstaates nach Schweizer Muster vorsah, scheiterte im März 2003. Im April 2003 öffnete die türkisch-zyprische Regierung überraschend die Grenze zwischen den beiden Inselteilen.
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